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Bei dem „Betenden Landmann“ handelt es sich genau genommen, um eine Bronzefigur die eine Sandsteinbrunnenanlage krönt. Diese Figur und die Gesamtanlage wurde  von dem aus Wiedenbrück stammenden Künstler Bernhard Heising (* 23. August 1865 in Wiedenbrück; † 29. Dezember 1903 in Berlin) 1903 geschaffen.

Auftraggeber war der ehemalige Landrat des Landkreises Wiedenbrück Ernst Osterrath (* 11. Januar 1851 in Danzig; † 6. Juni 1925 in Göttingen), der von 1882 bis 1898 Landrat des Kreises Wiedenbrück (Westfalen) war. Als das Denkmal eingeweiht wurde war Osterrath längst aus Wiedenbrück versetzt worden. Mit seinem Namen sind die Errichtung des Landratsamtes der sog. „Burg“, heute Standort der Osterrath-Realschule und die Osterrath-Straße verbunden. Die Einweihung fand am 1.9. oder 1.11.1903 am heutigen Standort auf dem Marktplatz statt.

Bernhard Heising verband mit der Bronzefigur des betenden Landmanns und der dazugehörigen Brunnenanlage das Bedürfnis nach Identifikation der Bevölkerung mit ihrer „Ackerbürgerstadt Wiedenbrück“. Dazu gesellte sich das städtische Bedürfnis in zentraler Lage eine Brunnenanlage als Treffpunkt, Trinkwasserspender und Symbolort vorzufinden.

Die Gesamtanlage wird üblicher Weise nur „Betender Landmann“ genannt. Die Bronzeskulptur des „Betenden Landmanns“, zeigt eine männliche, lebensgroße Figur eines in Kleidung und Haltung dem bäuerlichen Stand zugehörigen Mannes. Er ist in betender, in sich gekehrter Haltung wiedergegeben. Sein Blick ist auf seine gefalteten Hände gelenkt. In den Händen hält er zusätzlich die typische Kappe, eine Langpfeife und einen Spaten. Der gezeigte Moment spielt auf die Mittagsstunde in einer Arbeitswoche an. Der betende Landmann hält in seiner Arbeit auf dem Feld inne, um angeregt durch das Läuten der Glocken der Kirche St. Aegidius eine kurze Andacht zu halten. Das Läuten der Glocken ist bis heute in Wiedenbrück zu hören. Der Moment der kurzen Andacht symbolisiert das Leben der Ackerbürger im Rhythmus der Natur und des Kirchenjahres, die Gottesfürchtigkeit und Frömmigkeit der Bevölkerung der Stadt. Hier scheint die Industrialisierung mit ihrem gleichförmigen, entfremdeten Rhythmus vom Leben und Arbeiten in Stadt und Fabrik noch nicht Einzug gehalten zu haben. Natürlich hat auch 1903 die neue Zeit in Wiedenbrück schon ihre Spuren hinterlassen, aber das Denkmal wendet sich, typisch für den Stil des Historismus, an die Erinnerung an die vergangene Zeit. Bewusst wird das kollektive Erinnern hierhin gelenkt.

Zu der bekrönenden Figur korrespondiert die Sockelzone des Brunnens aus Sandstein. Die beiden seitlichen Brunnenbecken werden durch bronzene Wasserspeier in Groteskenform gespeist. Zum Marktplatz hin ist das eingeschlagene historische Stadtwappen von Wiedenbrück zu erkennen. Eingerahmt von zwei Stadtschlüsseln, als Symbole der Souveränität und Selbstständigkeit der Stadt, zur Rechten und Linken, wird das Wappensymbol des Rades nochmals von einer Architektur umrahmt. Diese zeigt eine mit Wehrtürmen versehene Stadtmauer. Hier wird auf die lange Geschichte der Stadt Wiedenbrück und ihrer relativen Selbstständigkeit angespielt, auch wenn die Stadt historisch zum Bistum Osnabrück gehörte.

Diese Elemente beschreiben das Selbstverständnis und den Bürgerstolz der Stadt, die der Künstler Bernhard Heising als gebürtiger Wiedenbrücker Künstler und der Stifter Ernst Osterrath als ehemaliger Landrat Ausdruck verleihen wollten.

Die Geschichte des bronzenen betenden Landmanns ist nicht minder spannend. 1903 nach Errichtung der Gesamtanlage auf dem Marktplatz (1.9. oder 1.11.1903 es gibt unterschiedliche Angaben) entwickelte sich der Betende Landmann zu einem zentralen Anlaufpunkt in der Stadt. Im Laufe des 1. Weltkrieges und der Metallknappheit, wurde die Bronzefigur abmontiert und aus der Stadt verbracht. Dem Einschmelzen für Kanonen entging die Figur. Sie wurde vom Wiedenbrücker Kaufmann und Soldaten Felix Plöger in einem Berliner Metalldepot gesichtet und gesichert. So konnte die Figur nach dem Krieg wieder an ihren angestammten Platz aufgestellt werden. Bevor das geschah wurde noch eine Kopie der Figur in einem der Ateliers der Wiedenbrücker Schule abgenommen.

Während des 2. Weltkrieges wurde die Originalfigur von 1903 wieder demontiert und diesmal auch zerstört. Nach dem 2. Weltkrieg konnte dank der Kopie ein Nachguß gefertigt werden. Zur 1.000 Jahrfeier der Stadt Wiedenbrück 1952 stand der Betende Landmann wieder an seinem Platz und ist bis heute ein beliebtes Fotomotiv und ein beliebter Treffpunkt geblieben. Der Wiedenbrücker Künstler Bernhard Hartmann führte die Arbeiten durch, so dass die Figur am 17. Dezember 1951 wieder aufgestellt werden konnte. Über die Vergabe der prestigträchtigen Arbeit an Hartmann beschwerte sich der ebenfalls aus Wiedenbrück stammende Künstler Stefan Vollmer, so dass es eine kleine Kontroverse über diesen Kunstschatz in der Stadt 1951 gab.